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Der globale Windkraftausbau

Ob knarzende Mühlen oder riesige weiße Windräder – seit Jahrtausenden nutzt der Mensch die Kraft des Windes. Doch obwohl dieser auf anderen Kontinenten wesentlich schneller und stärker weht als hierzulande, wird meistens der nationale Windkraftausbau diskutiert. Doch wie schnell schreitet der weltweite Ausbau voran? Wie viel Strom könnten die weißen Riesen global produzieren? Und warum stehen nicht mehr Windkraftanlagen in der Savanne Afrikas oder den Gebirgen Chiles?
THE, 11.07.2024
Windpark an der chinesische Küste

© yangna, iStock

Die Sommerferien beginnen und viele fahren in den Urlaub ans Meer. Wer diesen Weg mit Auto oder Bahn schon einmal selbst angetreten ist, weiß: Je näher man der Küste kommt, desto häufiger entdeckt man einzelne Windräder und sogar große Parks mit fünf, zehn oder sogar mehr der weißen Riesen. Doch auch, wer international reist, wird die großen Rotoren vermutlich erblicken. Schließlich boomt der Windkraftausbau nicht nur in Deutschland.

Zudem ist das weltweite Windkraftpotenzial so hoch, dass der erneuerbare Energieträger sogar im Alleingang den Strombedarf unserer kompletten Zivilisation problemlos abdecken könnte. Würde man zahlreiche Windräder weltweit auf dem Land und dem Wasser aufstellen, könnten sie von der Fabrik in Peking bis zur Wohnung in Köln alle Energiebedarfe nachhaltig mit Strom versorgen.

Ein Megawatt auf 16 Europäer 

Grund für dieses enorme Flächenpotenzial sind nicht nur die weiten Steppen und Wüstenflächen in Asien und Afrika oder die lange Küstenlinie Amerikas. Auch das europäische Windpotenzial ist riesig. Laut einer Studie der Universität Aarhus wäre theoretisch fast die Hälfte der gesamten Fläche Europas für die Produktion von Windenergie geeignet – das entspricht fünf Millionen Quadratkilometern. Besonders in der Türkei, auf dem Balkan, in Russland und in Norwegen ließen sich viele der Turbinen für die Gewinnung erneuerbarer Energie errichten.

Doch auch Teile Westeuropas sind wegen der günstigen Winde und flacher Landschaften gut für einen Ausbau von Onshore-Anlagen, also Windrädern an Land, geeignet. „Diese Energie wäre ausreichend, um den globalen Energiebedarf aller Sektoren von jetzt an bis zum Jahr 2050 zu decken. Theoretisch wäre Platz für rund elf Millionen zusätzlicher Windräder,“ berichten Peter Enevoldsen und seine Kollegen.

Bau eines Windparks in den Niederlanden
Bau eines Windparks in den Niederlanden

© kruwt, iStock

Nicht genug Windkraft in Europa und der Welt 

Bisher hat die EU ihr enormes Windpotenzial allerdings noch nicht ausgeschöpft. Konkret müsste der Staatenbund jährlich knapp 30 Gigawatt in Deutschland, Frankreich und Co. installieren, um genügend Emissionen durch fossile Stromerzeugung einzusparen, um die Erderwärmung so auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Im Jahr 2023 errichteten die EU-Mitgliedstaaten allerdings nur knapp die Hälfte der notwendigen Windräder.

Auch weltweit muss noch viel getan werden, um das ‚Netto-Null-Szenario‘ in der Energieerzeugung bis 2030 zu erreichen. Laut dem "Global Wind Energy Council" müsste sich das jährliche Windwachstum bis dahin mindestens verdreifachen. Im Jahr 2023 lieferte die weltweit installierte Windkraft allerdings nur knapp über zehn Prozent vom globalen Stromverbrauch.

Hindernisse für die Windkraft

Doch warum ist der Windkraftausbau trotz des massiven Potenzials nicht höher? Die Hindernisse sind vielfältig. Denn die dafür benötigten Flächen sind in der Regel kein menschenleeres Ödland – und auch die dort vorhandene Natur und Tierwelt ist häufig schutzwürdig. Das engt die für neue Windparks infrage kommenden Flächen stark ein. Vor allem Mitteleuropa ist relativ dicht besiedelt, wodurch oft Konflikte mit Anwohnern entstehen.

In Deutschland beispielsweise stören sich Menschen oft an der Lautstärke der Windräder. Doch diese Sorge ist nicht ganz berechtigt: Zwar sind die Rotoren laut, doch mit der Entfernung nimmt die Lärmbelastung rapide ab. In 500 Meter Entfernung verursachen Windräder etwa nur noch den Geräuschpegel eines rauschenden Waldes. Trotzdem verhindern Bürgerinitiativen vielerorts den Bau neuer Anlagen in der Nähe von Siedlungen.

In vielen Ländern Afrikas hindert hingegen nicht Lärm den Windkraftausbau, sondern das marode Stromnetz. Das zeigt eine Studie zu erneuerbaren Energien in Afrika. „Viele afrikanische Länder verfügen über unzureichende Netzinfrastrukturen, die für konventionelle Energiequellen ausgelegt sind“, erklären die Autoren. „Dies ist auch ein Hindernis für die Einführung und Ausweitung kostengünstiger erneuerbarer Energien wie Solar- und Wind.“ Anders ausgedrückt: Zwar könnten Windräder und Solaranlagen in diesen Regionen jede Mengen Strom erzeugen – er käme jedoch nicht dort an, wo er gebraucht wird. Dort sind daher erst massive Investitionen in die Infrastruktur nötig, damit die Windkraft sinnvoll ausgebaut werden kann.

Darrieus-Rotoren
Vertikalwindräder wie die Darrieus-Rotoren gelten teilweise als tierfreundlichen Alternative zu den langen, horizontalen Rotorblättern. Dieser Vorteil ist nur schwer messbar und daher stark umstritten.

© ilbusca, GettyImages

Werden anwohnende Tierarten gestört? 

International warnen Naturschutzorganisationen zudem vor den Gefahren von Windrädern für Vögel und Fledermäuse – allein in Deutschland sterben jährlich um die hunderttausend Vögel und eine Viertelmillion Fledermäuse aufgrund von Windkraftanlagen. Der Tod kommt entweder durch direkte Kollision mit den Rotorblättern oder durch ein sogenanntes Barotrauma, bei dem starke Luftdruckänderungen in der Nähe der Rotorblätter die inneren Organe der Tiere zerreißen.

Das kann sogar gesamten Ökosystemen schaden. Auf einem 20 Jahre alten indischen Windpark-Areal lebten beispielsweise viermal weniger Vögel als auf dem vergleichbaren benachbarten Gebiet. Deshalb vermehrte sich dort die sogenannte Fächerkehlen-Echse, das eigentliche Beutetier der Vögel, stärker als sonst. Laut dem Forschungsteam könnte sich so das Gleichgewicht der Nahrungsketten verschieben. „Windparks haben Auswirkungen, die bisher weit unterschätzt worden sind“, konstatieren Maria Thaker vom Indischen Institut für Wissenschaft in Bangalore und ihr Team. „Wir haben mehrere Belege dafür gefunden, dass es eine ganze Kaskade von trophischen Effekten dieser grünen Energie gibt.“  

Wie Europa für die Windkraft kämpft

Um den Windkraftausbau trotz all dieser Hindernisse voranzutreiben, haben sich viele Länder konkrete Ziele gesetzt. Die EU will beispielsweise bis 2030 einen Anteil erneuerbarer Energien von knapp 50 Prozent erreichen. Konkret soll die installierte Windkraftkapazität von 204 Gigawatt im Jahr 2022 auf über 500 Gigawatt im Jahr 2030 anwachsen. Dabei soll aber dennoch berücksichtigt werden, dass bestimmte Gebiete wie Wälder oder von Fledermäusen häufig frequentierte Routen als Standorte ausgenommen werden.

Ende 2023 haben die EU-Staaten den sogenannten europäischen Aktionsplan verabschiedet. Dieser soll beispielsweise die Genehmigungsverfahren für Windräder vereinfachen und digitalisieren. Auch die Ausbildung von Windkraft-Fachkräften will man fördern. „Wir müssen für günstige Rahmenbedingungen in allen Sektoren sorgen, damit diese wirksam zur Verwirklichung unserer ehrgeizigen Klima- und Energieziele beitragen können“, kommentiert Maroš Šefčovič, der Exekutiv-Vizepräsident für den europäischen Green Deal. 

Ngong Hills Wind Power Station, Kenia
Windfarm in den Ngong Hills, südwestlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

Globaler Windkraftausbau boomt

Auch in Asien und Amerika legt man den Turbo ein: Das höchste Windkraft-Wachstum im Jahr 2023 hatten neben Deutschland die USA, Indien und Brasilien. Lateinamerika verzeichnete sogar ein Rekordwachstum, mit einem Zuwachs von 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, vor allem durch Brasiliens umfangreiche Neuinstallationen. Doch der unangefochtene Spitzenreiter ist China: Das ostasiatische Land hat im Alleingang fast zwei Drittel des weltweiten Windkraft-Gesamtausbaus geleistet.

Selbst in Regionen, in denen der Ausbau Erneuerbarer Energien bisher schwächelte, wie in Afrika und im Nahen Osten, verdoppelte sich die Anzahl an neu gebauten Windkraftanlagen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr. Vorangetrieben wurde dies ebenfalls durch konkrete Ziele. Beispielsweise wurde die „Erklärung von Nairobi“ auf dem afrikanischen Klimagipfel verabschiedet. Sie formuliert das Ziel, die Kapazität der erneuerbaren Energien in Afrika von 56 Gigawatt im Jahr 2022 auf 300 Gigawatt im Jahr 2030 zu erhöhen.

Viele internationale Akteure unterstützen dieses Engagement des afrikanischen Staatenbundes. „Der globale Norden, der die grüne Energierevolution bisher weitgehend geschultert hat, braucht die Unterstützung und das Potenzial des globalen Südens“, kommentiert Girish Tanti, Vize-Präsident von Suzlon, einem indischen Windkrafthersteller. „Erneuerbare Energien sind der Gleichmacher, den unsere zersplitterte Welt gerade jetzt braucht, denn sie können die Stromerzeugung dezentralisieren, Millionen neuer Arbeitsplätze sichern und die Grundbedürfnisse nach sauberer Luft und guter Gesundheit für alle erfüllen.“

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