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Wie Spotify uns Musik empfiehlt

Die Playlist ist zu Ende gehört und plötzlich hören wir ein uns bis lang unbekanntes Lied aus dem Lautsprecher. Spotify empfiehlt seinen Nutzern auf verschiedene Weisen neue Musik. Manchmal trifft es unseren Geschmack und manchmal fragen wir uns, warum ausgerechnet dieser Song vorgeschlagen wird. Dahinter steckt in beiden Fällen Spotifys Algorithmus. Wie funktioniert dieser Algorithmus? Warum ist es gerade für Newcomer so schwer, Aufmerksamkeit für ihre Musik zu bekommen? Und was haben Filterblasen damit zu tun?
SSC, 11.10.2024
 Junge Frau, die über ihre Smartphone Musik konsumiert

© wundervisuals, iStock

Spotify ist mit einem Marktanteil von über 30 Prozent die aktuell größte und bekannteste Musikstreamingplattform. Eine praktische Funktion können die von Algorithmen zusammengestellten Playlists sein. Sie erstellen basierend auf den Hörgewohnheiten der Nutzer Playlists, wie „R&B Mix“, „80s Mix“ oder „Elvis Presley Radio“. Diese Playlists tauchen prominent auf der Spotify-Startseite auf und werden den Hörenden auch in ihren individuellen Bereichen immer wieder vorgeschlagen.

So funktioniert Spotifys Algorithmus

Viele von uns entdecken neue Musik primär über solche von Algorithmen erstellte Playlists. Der Inhalt dieser Zusammenstellungen basiert zum einen auf unseren Präferenzen und zum anderen auf den Eigenschaften der Musik. „Diese Beeinflussung erfolgt auf mehreren Ebenen, vor allem aber durch Empfehlungssysteme, die bestimmte Künstler oder Songs vorschlagen, und durch die Erstellung personalisierter Wiedergabelisten, bei denen einige Titel vom Benutzer und andere von einem Algorithmus ausgewählt werden, basierend auf dem, was man normalerweise hört“, erklärt Antoine Henry von der Universität Lille in Frankreich.

Hören wir beispielsweise viel Rockmusik, wird Spotify uns vorwiegend Songs vorschlagen, die sein Algorithmus dem Genre Rock zuordnet. Dazu durchkämmt dieser die von den Künstlern hinterlegten Metadaten. Zu den Metadaten gehören beispielsweise sogenannte Stimmungstags wie „fröhlich“ oder „melancholisch“, aber auch Information darüber, in welcher Sprache das Lied gesungen wird und welche Instrumente gespielt werden. Zusätzlich analysiert der Algorithmus das Lied selbst und teilt es in mehrere Abschnitte ein. Dadurch kann Spotify über das Abspielverhalten der Nutzer herausfinden, welche Liedteile besonders beliebt sind, und basierend darauf mehr Musik dieser Art vorschlagen.

Vorteil für schon bekannte Musiker und Bands

Die von Spotify und anderen Streamingdiensten eingesetzten Algorithmen und ihre Vorschläge können für Musikerinnen und Musiker sowohl Chance als auch Last sein. Wird ihr Song einer von einem Algorithmus erstellten Playlist hinzugefügt oder vielen Nutzern vorgeschlagen, bekommen die Urheber des Stücks schnell Tausende neue Zuhörer und damit die Chance, mehr Fans für ihre Musik zu begeistern.

Allerdings profitieren davon meist vor allem die ohnehin schon beliebten und bekannten Interpreten, weil sie von den Algorithmen höher bewertet und daher häufiger vorgeschlagen werden. Spotify tendiert dazu, seinen Nutzern vorwiegend Musik besonders beliebter Genres oder Künstler vorzuschlagen.

Bereits berühmte Sänger wie The Weeknd – der zurzeit die meisten monatlichen Streams auf Spotify hat – werden vom Spotify-Algorithmus bevorzugt berücksichtigt. Gibt es von ihm einen neuen Song, taucht er daher meist prominent unter den Vorschlägen der Musikstreamingdienste auf. Denn was vielen gefällt, wird auch anderen vermehrt vorgeschlagen, da die Chance groß ist, dass es diesen Nutzern ebenfalls gefallen wird. Wer hat, dem wird also gegeben.

Wenig Chancen für neue Künstler

Das Nachsehen haben dagegen „Newcomer“ in der Musikszene oder Bands und Musiker mit noch geringem Bekanntheitsgrad: Für sie ist es viel schwieriger, in eine der großen Spotify-Playlists aufgenommen zu werden, auch wenn ihre Musik eigentlich passend wäre. Dies gilt in besonderem Maße für Musikstücke, die nicht in die gängigen Genres passen, weil sie beispielsweise einen neuen kreativen Musikstil erschaffen oder auch einfach ungewöhnlichere Instrumentierungen haben.

Weil diese Musikstücke von den Algorithmen benachteiligt werden, haben ihre Urheber auch weniger Chancen, bekannt zu werden und mit dem Streaming ihrer Musik Geld zu verdienen. „Die großen Plattformen sind unerlässlich, um bekannt zu werden, aber als unabhängiger Künstler, weiß man, dass man das, was man für die Produktion ausgegeben hat, nie zurückbekommen wird“, sagt beispielsweise die 20-jährige Sängerin und Komponistin Valentina, die seit 2022 unter dem Namen „VALENN“ mehrere Musikstücke auf Streamingplattformen veröffentlicht hat.

Filterblasen für Musik

In gewisser Weise ähneln die Algorithmen von Spotify und Co damit den sogenannten Filterblasen der sozialen Medien: „Vor allem durch soziale Medien und in gewissem Maße durch Streaming-Dienste wird das Internet zu einer nicht enden wollenden Reihe von „Blasen“, anstatt Barrieren abzubauen“, sagt Giuseppe Mazziotti von der Katholischen Universität Lissabon. Dies ist nicht nur für die Künstler ein Problem, sondern verengt auch unseren Horizont als Musikhörende: „Oft gefangen in diesen ausschließlich auf der Interaktion von Nutzern basierenden Algorithmen gesteuerten Blasen, werden sich Verbraucher der breiteren kreativen Welt immer weniger bewusst und erleben eine zunehmende kulturelle Verarmung“, erklärt der Experte.

Langfristig könnten die auf Algorithmen basierenden Empfehlungen auch ein Problem für die ganze Musikwelt darstellen. Denn um mehr Streams zu bekommen, könnten Künstler versuchen, ihre Musik dem „Geschmack“ des Algorithmus anzupassen. Das kann dazu führen, dass Musik zukünftig immer mehr zum Einheitsbrei wird.

Spotify bietet bis jetzt keine Lösung für dieses Problem. Bis dahin können wir versuchen, selbst aktiv nach neuer Musik zu suchen oder auf Social-Media-Plattformen nach aufstrebenden Künstlern Ausschau halten.

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